Im Zuge der 15. Münchner Balkantage bot das Kismet Symposium – The Culture of Memories Raum für die Entfaltung der Kultur sephardischer Juden im Balkan. Das Symposium fand am 7. Juli online statt und beinhaltete einzigartige musikalische Impulse, Dokumentarfilme und Vorträge von angesehenen Referent*innen zum Reichtum und Fortbestand der sephardischen Erinnerungskultur.
Die Stärkung der Erinnerungskultur unter Teilnehmer*innen und Mitwirkenden der Balkantage ist ein wichtiger Aspekt des Kulturfestivals, das 2007 von Sadija Klepo ins Leben gerufen wurde. Aufgrund des diesjährigen Themas der Balkantage – “Balkanconnection 2.0 – Die junge Generation und die Zukunft der Region” – ist Erinnerungskultur noch mehr als gewöhnlich in den Fokus gerückt. Denn durch die Balkankriege und die Zersplitterung der Region hat die gemeinsame Erinnerungskultur stark gelitten. Und während ältere Generationen noch Erinnerungen an die Zeit vor Krieg und Zerstörung in sich tragen, können junge Menschen nicht auf diese gemeinsame Lebenserfahrung zurückgreifen. Umso wichtiger ist die gelebte Weitergabe von Erinnerungen an die geschichtlichen und kulturellen Gemeinsamkeiten der Balkanvölker für sie, um die Fragmentierung des kollektiven Gedächtnisses zu überwinden. Genau das war der Zweck des Kismet Symposium – The Culture of Memories.
Ursprünglich war das Kismet Symposium als Live-Event in München angedacht. Doch aufgrund der erschwerten Bedingungen für Präsenzveranstaltungen, die die Corona-Pandemie auch dieses Jahr mit sich brachte, musste das Symposium leider virtuell stattfinden. Allerdings geriet dies nicht unbedingt zum Nachteil für das Symposium – besonders wenn man den Zweck und das Thema bedenkt. Denn entstanden ist eine schöne Collage von Filmmaterial aus Sarajevo, musikalischen Einlagen, Dokumentarfilmen und Vorträgen von angesehenen Referent*innen, die auch in Zukunft für jedermann online zur Verfügung stehen wird und einen anhaltenden Beitrag zur Erinnerungskultur im Balkan liefert.
Die sephardischen Juden sind ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie Erinnerungskultur im Balkan trotz widriger Umstände über hunderte Jahre bestehen und auch nach einschneidenden Erlebnissen wieder aufblühen kann. Nach ihrer Vertreibung von der iberischen Halbinsel vor 500 Jahren fanden viele Sephardim Zuflucht im Balkan. Die Traumata der Vertreibung und der Flucht führten allerdings nicht dazu, dass die Kultur der Sephardim verloren ging. Über hunderte Jahre pflegten sie Bräuche, Künste und Kultur und behielten auch ihre eigene Sprache, Ladino, bei.
Das Thema wurde im Symposium von einigen Experten aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet: Dr. Eliezer Papo, Dozent für Hebräische Literatur an der Ben-Gurion Universität, sprach über “Creating, Migrating, Recreating and Remigrating” – eine Geschichte der Migration und Kultur sephardischer Juden über 2000 Jahre. Historiker Dr. Jozo Džambo sprach im Detail über die Kultur und das Leben sephardischer Juden in Bosnien und Herzegowina. Auch die Autorin Sonja Elazar sprach über ihre Einblicke in das Leben der sephardischen Juden, die sie durch ihre Recherchen für das Buch From the Album of Bosnian Sephardic Jewry erlangt hat. Besonders setzt sie sich dabei mit der Folkstracht der bosnischen Juden als Ausdruck ihrer einzigartigen Kultur auseinander.
Auch die dargebotenen Dokumentarfilme boten eine Bandbreite verschiedener Eindrücke. Ein Dokumentarfilm über die jüdisch-bosnische Schriftstellerin Laura Papo Bohoreta führte die Zuschauer durch ihr Leben und ihr einflussreiches Werk über sephardische Frauen in Bosnien und Herzegowina. Der Dokumentarfilm Saved by Language von Bryan Kirschen und Susanna Zaraysky zeugte vom Leben Moris Albaharis, eines sephardischen Juden aus Sarajevo, der es auch mithilfe seiner Ladino-Sprachkenntnisse schaffte, den Holocaust zu überleben. So verband der Film eine mitreißende Lebensgeschichte mit einer Erzählung über eines der wichtigsten Kulturgüter der sephardischen Juden. Schließlich lieferte der Dokumentarfilm The Key from Spain einen würdigen Nachruf auf die kürzlich verstorbene, weltberühmte sephardische Musikerin Flory Jagoda.
Musikalisch untermalt wurde das Programm mit Einlagen von Zorana & Ethno Orchestra, Aleksandar Saša Kabiljo, Aida Čorbadžić (Prima Donna am Sarajevo Nationaltheater), dem Komponisten Vlado Podany und dem Kinderchor Dječiji Hor Princess Krofne. Die Aufführungen überzeugten nicht nur mit ihrer musikalischen Virtuosität, sondern auch mit ihrer visuellen Begleitung: Bühnenshows, Volkstänze und Bilder aus der Lebenswelt der sephardischen Juden in Bosnien und Herzegowina.
Trotz der erschwerenden Umstände gelang es mit dem virtuellen Kismet Symposium – The Culture of Memories die Wärme und die Schönheit der sephardischen Kultur im Balkan zu vermitteln. Gleichzeitig schafft das Symposium ein Bewusstsein für die Möglichkeit des friedlichen Miteinanders verschiedener Kulturen – die notwendige Grundlage für die Schaffung einer besseren Zukunft, im Balkan und in der Diaspora.
Produziert wurde das Material von Mensur Čolaković und zu sehen ist das Symposium in ganzer Länge auf Englisch und Deutsch auf dem YouTube-Kanal von HvMzM: