„Sind uns die Hände gebunden?“
Politische Teilhabe in der Balkan-Diaspora

Ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft haben oder nicht, ob sie Steuern zahlen oder nicht—für Menschen aus der Balkan-Diaspora sind die Möglichkeiten politischer Teilhabe  begrenzt. Dieses Problem ist auf allen Ebenen zu beobachten: lokal, national und international. Auf den Münchner Balkantagen 2023 wollen wir auf dieses demokratische Defizit aufmerksam machen und fragen: Was können wir — MigrantInnen und Geflüchtete in Deutschland — tun, um mehr politische Teilhabe zu erlangen?

In München hat die fehlende politische Teilhabe von MigrantInnen in letzter Zeit Schlagzeilen gemacht. Das einzige demokratisch legitimierte Gremium, für das viele MigrantInnen in München wählen dürfen, ist der Migrationsbeirat. Er wird in Zukunft aber nicht mehr ausschließlich von MigrantInnen gewählt, sondern auch durch den Münchner Stadtrat beeinflusst. Gleichzeitig wird das grundlegende Problem des Migrationsbeirats, der Mangel an politischen Mitbestimmungsrechten, ignoriert. Solche Rechte zu fordern, könnte ein Weg sein, größere politische Teilhabe auf der lokalen Ebene zu erlangen.  

Auf Bundesebene ist der Abstand der Politik zu MigrantInnen noch größer. Solange sie keine deutschen Staatsbürger sind, haben MigrantInnen kaum Möglichkeiten, Einfluss auf Bundespolitik auszuüben. Diese Tatsache spiegelt sich wider im Desinteresse der Bundesregierung: bis die große Anzahl ukrainischer Geflüchteter sie zur Kehrtwende zwang, plante sie beispielsweise, die Mittel für die Migrationsberatung (MBE) um ca. ein Viertel zu kürzen. Vielleicht steckt in diesem Beispiel aber auch der Schlüssel für die Durchsetzung eines größeren Mitspracherechts: die moralische Stärke der Menschen, die sich für Deutschland entscheiden, weil sie dem hiesigen politischen System vertrauen, und die im Gegenzug für ihre überlebenswichtige Arbeit in unseren Krankenhäusern, Altenheimen und Supermärkten politische Teilhabe verlangen.

Am unüberwindbarsten allerdings ist das Problem auf der internationalen Ebene. Vielen MigrantInnen—z.B., Serbischen StaatsbürgerInnen—wird es erschwert, in ihren “Heimatländern” zu wählen. Und selbst wenn die Wahl im “Heimatland” möglich ist, haben politische Vertreter dort kaum Einfluss auf die entscheidenden Institutionen in Europa—allen voran die EU. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Doch der Balkan ist ein Teil Europas. Wenn die Menschen auf dem Balkan und in der Diaspora an europäischen Entscheidungsprozessen und dem Wohlstand, zu dem sie beitragen, nicht teilhaben können, führt das zu Spannungen, die die EU nicht unberührt lassen. Anzeichen sind überall zu sehen, besonders in Bosnien und Herzegowina.

Für diese und viele weitere Fragen werden wir auf den Balkantagen nach Antworten suchen: Verfügen MigrantInnen—speziell die Menschen in der Balkan-Diaspora—über politische Macht, oder sind wir ohnmächtig? Wie können wir unsere Communities mobilisieren, hier in der Diaspora und auf dem Balkan, um unser volles Potential zu entfalten und Veränderungen zu bewirken? Brechen die großen Krisen dieser Zeit einfach über uns herein, oder können wir uns dagegen wehren? Und natürlich wird unsere Herangehensweise ganz in der Tradition der Balkantage stehen: D.h., wir werden nicht nur Symposien abhalten, sondern singen, tanzen, essen, trinken und lachen und so Erfahrungen austauschen und unsere Gemeinschaft stärken, um gemeinsam etwas zu bewegen.