Literaturtag

Thema: Erinnerungskultur

15.05.2022 um 16 Uhr
Kleiner Konzertsaal
Gasteig Haidhausen

Die universellen Geschichten

Erinnerung ist nicht nur Geschichte, sondern auch ein gegenwärtiges Gefühl, das uns alle verbindet und durch ihren Ausdruck in Kultur mündet. In diesem Sinne sind die Themen der Romane, die die drei eingeladenen Schriftsteller*innen behandeln, im Grunde Elemente einer neuen Verbundenheit auf dem Balkan. Die unbequeme Position der Frau innerhalb der Familie, Minister innerhalb korrupter Regierungen oder der Kampf gegen Krankheit, den eigenen Körper und damit für das Menschsein – das alle sind universelle Geschichten, die so oder so ähnlich in allen Ländern des Balkans erzählt werden könnten. Auch wenn wir noch nicht in funktionierenden demokratischen Gesellschaften leben können, so ist unser Schicksal doch gemeinsam und nur durch den toleranten Umgang mit dem Erlebten und Überlebten können wir einen Weg finden, miteinander friedlich zu koexistieren, wenn nicht sogar gut zu leben.

Nachdem wir bei den anderen Veranstaltungen sehr viel über Politik und Geschichte hören werden, wollten wir beim Literaturtag ergänzend einige persönliche, intime Stimmen und Erzählungen erleben und die Autor*innen darüber sprechen lassen, wie sie in der Kakofonie der Erfahrungsberichte aus all den Kriegen und Krisen auf dem Balkan ihre eigene Erinnerung und die Erinnerung ihrer Figuren literarisch hochwertig zu gestalten geschafft haben, ohne sich von den schrecklichen Erlebnissen der Vergangenheit definieren und überrumpeln zu lassen. Unsere Moderatorin Maja Gebhardt wird mithilfe der Dolmetscherin und Übersetzerin Elvira Veselinovic, die auch Werk von Tanja Stupar Trifunovic und Stefan Boskovic ins Deutsche übersetzt hat, die Diskussion auf Bosnisch/Kroatisch/Serbisch und Deutsch führen und sich bemühen, auch auf die Entstehung, Rezeption und Interpretation der einzelnen Werke einzugehen, weil schließlich die Literatur im Mittelpunkt unserer Veranstaltung stehen soll. Ganz wichtig dabei wird es sein, diese Bücher nicht nur als Vertreter in Deutschland oft als exotisch empfundener Autorenschaft vom Balkan sondern als würdige Repräsentanten der europäischen Gegenwartsliteratur zu zeigen, wovon nicht nur der Literaturpreis der Europäischen Union für Tanja Stupar Trifunovic 2016 und für Stefan Boskovic 2020 sondern auch die zahlreichen Übersetzungen der Werke aller Autor*innen zeugen, aber auch die Darstellung weiblicher Figuren und der kritischen Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft, die von korrupten Politikern dominiert wird. Wir freuen uns dieses Mal ganz besonders auf fünf Menschen, die sich zwar professionell mit dem Schreiben beschäftigen, aber nichtsdestotrotz wirklich gekonnt, charmant und lebendig diskutieren können und durch ihren persönlichen Auftritt genauso wie durch ihre Texte überzeugen – endlich nicht über Zoom, sondern bei einer echten Literaturveranstaltung im neuen Gasteig mit neuen und treuen Balkantagebesuchern im Publikum!

Foto: Borislav Brezo

Tanja Stupar-Trifunović, *1977, ist Schriftstellerin, Literaturkritikerin und Redakteurin der Literaturzeitschrift Putevi. Sie schreibt Lyrik und Prosa. Der Schwerpunkt in ihrer Literatur liegt auf weiblichen Narrativen in patriarchalen Gesellschaften. Sie lebt in Banja Luka.

Ihr erster Roman »Satovi u majčinoj sobi« (Die Uhren in Mutters Zimmer) wurde 2016 mit dem Literaturpreis der Europäischen Union ausgezeichnet. Im Jahr 2014 war er in der engeren Auswahl des wichtigsten serbischen Literaturpreises (NIN-ova nagrada). In dessen Auswahl kam auch ihr neuester Roman »Otkako sam kupila labuda« (»Seitdem ich mir einen Schwan gekauft habe«), der mit Zlatni suncokret (Goldene Sonnenblume) ebenfalls einen wichtigen Literaturpreis erhielt.


Foto: Jelena Medić

Senka Marić (*1972) studierte Theaterpädagogik und Vergleichende Literaturwissenschaft. Sie schreibt Gedichte, Prosa und Essays und ist als Übersetzerin und Chefredakteurin des Literaturportals Strane (strane.ba) tätig. Von Senka Marić sind drei Gedichtbände und zwei Romane erschienen. Für Körper-Kintsugi wurde sie 2019 mit dem Meša-Selimović-Preis für den besten Roman im gesamten Sprachraum Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Serbien und Montenegro ausgezeichnet. Sie lebt in Mostar.


Stefan Bošković (*1983 in Podgorica) ist Dramaturg am Montenegrinischen Nationaltheater und Dozent an der Fakultät für Darstellende Künste. Als Schriftsteller ist er für den pornografischen Roman Šamaranje (2014) und die Kurzgeschichtensammlung Transparentne životinje (2018) bekannt. Bošković ist auch in anderen Genres tätig, er hat Drehbücher für Theaterstücke, Spiel- und Kurzfilme, Sitcoms und Dokumentationen geschrieben und ist Gründungsmitglied einer alternativen Theatergruppe. Der Minister wurde 2020 mit dem Literaturpreis der EU und 2021 mit dem CEI Award for Young Writers ausgezeichnet und ist einer der ersten auf Deutsch veröffentlichten montenegrinischen Romane der Gegenwart.


Foto: Graham Hains

Elvira Veselinović, in der DDR geboren und in Jugoslawien groß geworden, lebt als Literaturübersetzerin, Dolmetscherin und Dozentin in Berlin. Sie ist promovierte Linguistin und Keltologin. Aus der Sprache ihrer Schulzeit, die mittlerweile als Bosnisch, Kroatisch, Serbisch und nun auch Montenegrinisch die Buchtitel ziert, hat sie bereits zahlreiche Werke klassischer und zeitgenössischer Autoren übersetzt. Dazu zählen Miloš Crnjanski, Milan Mladenović, Veljko Barbieri, Slobodan Tišma, Dana Todorović, Otto Horváth, Faruk Šehić, Ivana Šojat, Bojan Krivokapić und Ilija Đurović.


Maja Gebhardt (*1981) hat ihr Studium in Germanistik und Anglistik mit einem Magister Artium an der Ludwig-Maximilans-Universität München abgeschlossen. Sie hat zehn Jahre lang Deutsch in den Integrationskursen für Migrant*innen unterrichtet und das Sprachzentrum für Migranten im Verein Hilfe von Mensch zu Mensch geführt. Sie ist von Beginn an aktiv im Balkantageteam und hat sich dabei besonders für die Konzerte und den Literaturtag engagiert. Seit 2019 moderiert und dolmetscht sie literarische Events über Zoom für den eta-Verlag und den Buchclub BKS in Berlin und organisiert am liebsten Präsenzveranstaltungen, sofern diese möglich sind.